Für ein freistehendes Einfamilienhaus am Rande einer ostwestfälischen Kleinstadt sollte eine gleichzeitig ortstypisch-tradierte und zeitgenössische Formensprache gefunden werden. Dazu haben wir untersucht, wie regionaltypische Gestaltmerkmale mit Hilfe digitaler Planungswerkzeuge verfremdet werden können, um im Sinne eines „parametric regionalism“ die ästhetischen Konventionen von Stadtrandarchitekturen zu hinterfragen.
Kontext
Haus H wurde in eine für die Region typische Bauernschaft, die aus Bauernhöfen, Kotten und lose verteilten Einfamilienhäusern besteht, eingefügt. Diese Landschaft hat keine Richtungen oder relevante städtebauliche Konstanten. Häuser und Gehöfte sind versprengte Orientierungspunkte in einer landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft. Nachbarschaft wird hier nicht unbedingt im direkten Nebeneinander, sondern immer auch in der Fernwirkung erfahren. Anders, als in der Stadt, sind die hier stehenden Gebäude von vielen Seiten und in unterschiedlichen Distanzen sicht- und einsehbar. Die im suburbanen Kontext gängige Aneinanderreihung von Einfamilienhäusern mit einer klaren Definition von Vorder- und Rückseite gibt es hier nicht. Stattdessen gruppieren sich die Gebäudeensembles der Gehöfte anscheinend zufällig, tatsächlich aber aus internen funktionalen Abhängigkeiten hergeleitet, um zentrale Höfe. Die Firste und Giebel der Haupthäuser und Scheunen deuten dabei in unterschiedliche Richtungen und öffnen den jeweiligen Hof allseitig zur umgebenden Landschaft. Die vier herausgestellten Giebelseiten von Haus H nehmen diese multidirektionalen Muster auf.
Typologie
Der Grundriss des Hauses bezieht sich einerseits auf die regionstypischen historischen Ein- oder Hallenhäuser, deren Ständerkonstruktion in einer Art dreischiffigem Längsbau resultierte. Durch die Querung, in deren Zentrum früher die Feuerstelle lag, ist die Grundgeometrie dieser Bauernhäuser einem 3x3 Raster nah verwandt – und ähnelt damit tradierten Villentypologien (vgl. Rudolf Wittkowers Analyse der Villen Palladios). Die Überlagerung dieser beiden Grundtypen zeigt ein Neun-Rechteck-Raster mit Fokus auf den Zentralraum, das, zu einem parametrisch-elastischen Modell weiterentwickelt, die geforderten Funktionen, baurechtlichen Spezifika, konstruktiven Anforderungen, sowie räumliche und formale Intentionen integriert.
Darauf aufbauend und kontrolliert über einen geometrischen Drehpunkt im Zentrum des Plans können Teile des Hauses voneinander getrennt und auseinander gedreht werden. Aus dem vormals kompakten Baukörper wird eine raumgreifende Struktur.
Die Transformation im Plan bedingt dann auch die Verformung des Satteldaches zu einer relativ komplexen Dachlandschaft. Dabei werden die vier Giebel als maßgeblich gestaltprägende Elemente traditionell ausformuliert. Erst in der Tiefe zeigt die Transformation des Dachs in gekrümmte und aufgefaltete Flächen ein eher zeitgenössisches Formvokabular.
Organisation. Begegnung und Rückzug
Der aus den typologischen Untersuchungen abgeleitete Zentralraum von Haus H verbindet sich auf unterschiedliche Art mit den angrenzenden Flügeln und eröffnet in den Kehlen des Hauses direkte Bezüge in die Landschaft – ein eigentlich paradoxes Modell, in dem die nach außen gerichteten Räume der Flügel durch vergleichsweise kleine Fensteröffnungen intimer wirken, der innenliegende Zentralraum durch großzügige Verglasung aber eine enge Verbindung mit dem Garten eingeht. Zwei Terrassen zwischen den Flügeln, eine nach Osten, eine nach Westen orientiert, verstärken diese Verbindung.
Das Haus wird so in zwei grundsätzlich verschiedene Zonen aufgeteilt: in den Flügeln sind die Rückzugsbereiche, wie das Wohnzimmer, die Wohnküche, die Bibliothek, das Arbeitszimmer und im Obergeschoss die Schlafräume organisiert. Der zweigeschossige Zentralraum dient als Bewegungs- und Begegnungsraum und bildet mit einem großen Esstisch und den Sitzstufen der Bibliothek das kommunikative Zentrum des Hauses.
Material
So, wie Haus H typologisch und formal mit tradierten und aktuellen Formen spielt, soll auch das eingesetzte Material ortstypische Materialien interpretieren. Das Haus, ein Massivbau, wurde daher, wie heute in der Region üblich, im wilden Verband verklinkert, dann allerdings weiß geschlämmt. Die daraus resultierende Textur ist den Vorbildern einer eher kontextuellen Moderne näher als der Abstraktion der weißen Putzfläche der modernen Avantgarde.
Das Dach hat über einer Bitumenabdichtung eine Lage aus Zedernlamellen erhalten, die die geometrische Logik des Daches und seiner Konstruktion ästhetisch übersetzt: eine Schar aus Geraden verweist als verfeinerte Version des darunter befindlichen Dachstuhls auf die zu Grunde liegende Konstruktion des Daches. Die Latten werden über eigens entwickelte Verbindungsstücke an mehreren Stellen punktgehalten und scheinen so über der Dachhaut zu schweben. Die Dynamik und relative Leichtigkeit der Dachfläche, die im Innenraum baldachinhaft erscheint, wird so in Materialwahl und Fügungstechnik unterstützt. Wie auch die dem Haus zu Grunde liegende Geometrie, ist auch die Dachkonstruktion aufgrund ihres hohen Differenzierungsgrades algorithmisch definiert worden.
Im Gegensatz zu den texturierten Außenflächen sind die Oberflächen der Innenräume bewusst glatt gehalten. Weiß verputzte und geschliffene Wand- und Deckenflächen bilden hier einen Kontrast zu den relativ großformatigen Eichendielen. Damit erscheinen vor allem die gekurvten Deckenflächen des Zentralraums je nach Lichteinfall vergleichsweise leicht und textilhaft.
Ökologie
Haus H wurde über die Anforderungen der Energieeinsparverordnung hinaus in allen Bauteilen hochgedämmt ausgeführt und für eine möglichst nachhaltige Energiegewinnung mit einer Sole-Wasser-Wärmepumpe ausgestattet. Um die Auswirkungen eines Neubaus im eher landschaftlich geprägten Kontext zu balancieren, ist der Garten umfassend mit heimischen Gehölzen und einer drei Meter breiten Wildhecke, die als Habitat für die örtliche Fauna dienen wird, bepflanzt worden.
Darüber hinaus soll durch den Einsatz dauerhafter Materialien, eine gleichsam funktionale wie in Teilen aufregende Grundrissgestaltung, sowie durch eine dem Ort entsprechende und doch besondere Formensprache das Interesse an einer langfristigen Erhaltung des Hauses unterstützt werden.