Umbau einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Wenn der größte Wert, der entstehen kann, mehr Freiraum ist.
Was ist wirklich notwendig zum Leben? Wie viel geistigen Raum nehmen die materiellen Dinge um uns herum ein? Ist es möglich, durch Minimalismus geistige und seelische Freiheit zu erlangen? Was ist Funktion und was ist nur Wunsch? Wie kann man eine 74 m2 große Wohnung in einer Plattenbauwohnung so unterbringen, dass drei Haushaltsmitglieder ihre Privatsphäre haben und gleichzeitig Raum für das Zusammensein?
Frau H. wurde im Fernsehen auf unsere Arbeit aufmerksam. Sie kontaktierte uns am Tag nach der Ausstrahlung eines Berichts über unser Projekt der Architektenwohnung (www.rdth.cz/projekt/architektuv-byt). Sie hat zwei Söhne, Zwillinge, und zieht sie allein auf. Sie erzählte uns, dass sie auch eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus hat und sie möchte, dass wir eine absolut "saubere" und moderne Wohnung für sie und ihre Kinder entwerfen. Sie sagte, dass sie eine andere Wohnung in Prag besitzt, in der sie bequem leben kann, so dass wir bei unserer Arbeit freier sein können.
Ein großer Vorteil von Plattenbauwohnungen ist, dass sie in der Regel fast vollständig umprogrammiert werden können. Der größte Wert, der dadurch geschaffen werden kann, ist mehr Freiraum.
In den ersten Schritten haben Frau H. und wir ausgelotet, wie weit sie bereit war zu gehen und was die Kernwerte sind, die sich in diesem Umbau widerspiegeln sollten. Es handelte sich eindeutig um einen Weg des materiellen und formalen Minimalismus, sogar um eine asketische Lebenseinstellung, das Bedürfnis, sich von banalen Dekorationen zu befreien und den Willen, einen "angenehmen" Raum zu schaffen, der nur den wesentlichen Bedürfnissen der Familie dient.
Wir haben sie zum Beispiel gefragt, ob sie wirklich tagsüber ein Schlafzimmer und nachts ein Wohnzimmer braucht. Ihre Bescheidenheit und Offenheit führten uns zu dem Schluss, dass es sich um eine tief verwurzelte Gewohnheit handelt und dass die Entscheidung über die Gewohnheiten allein vom Nutzer und seinen Lebensumständen abhängt. Der Verzicht auf bestimmte Gewohnheiten ist eine legitime Option bei der Entscheidung über die künftige Gestaltung des Wohnraums und kann eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen. So wird das Schlafzimmer aus dem Wohnzimmer und das Wohnzimmer wiederum aus dem Schlafzimmer geschaffen.
Außerdem kann Frau H. ohne Probleme auf einem normalen Sofa schlafen. Sie braucht jedoch manchmal die Möglichkeit, zumindest visuelle Privatsphäre zu haben. Ein einfacher Vorhang genügt ihr, um dieses Bedürfnis zu befriedigen. Hinter dem Vorhang tut sich eine eigene Welt auf. Es ist nicht nur ein Schlafzimmer, das mit einem Verdunkelungsvorhang nahezu perfekt vom Sonnenlicht abgeschirmt wird. Es kann auch ein Kino sein. Wenn man sich einen Film mit Kopfhörern ansieht, merkt niemand, der sich in der Nähe befindet, dass gerade eine laute Actionszene läuft. Der Film bleibt drinnen und stört diejenigen nicht, die nicht zuschauen und zuhören wollen. Sie können ihr Mittag- oder Abendessen zubereiten und in Ruhe essen oder sich miteinander unterhalten, als ob sie hinter einer Wand wären. Es gibt viele Situationen und Szenarien der gegenseitigen Kombination. Diese beiden Welten hinter einer dünnen Membran sind miteinander verbunden, können aber auch unabhängig voneinander gut funktionieren, solange sie sich gegenseitig respektieren. Wenn der Vorhang zurückgezogen wird, ist es ein klassisches Wohnzimmer mit Küche und Esszimmer, in dem die Familie zusammen ist. Der Vorhang wird dann nicht nur zu einer dezenten Dekoration, sondern verbessert auch die Akustik eines großen Raumes.
Andererseits war es Frau H. wichtig, dass ihre Söhne ihre eigenen privaten Zimmer haben. Sie sind symmetrisch identisch. Jedes hat einen Schreibtisch über die gesamte Breite des Raumes, einen Einbauschrank und ein ausziehbares Bett. Es kann als klassisches Einzelbett, als Sofa oder ausgezogen als bescheidenes Doppelbett genutzt werden. Wenn sie lernen, Serien schauen oder einfach nur faulenzen wollen, lässt es sich leicht in die Mitte des Raumes stellen. Die verstellbare Wandleuchte lässt sich in fast jeder Position des Bettes gut einsetzen. Wenn für eine Weile etwas mehr Platz benötigt wird, z. B. zum Trainieren, kann das gesamte Bett unter den Tisch geschoben werden, der keine Beine hat und auf Stahlbügeln an der Wand verankert ist. Durch die Oberlichter über den Schränken gelangt Sonnenlicht in die Eingangshalle und das Bad. Sonnenlicht in diesen Räumen ist in alten Plattenbauwohnungen eine Seltenheit. Der Eigentümer des Zimmers kann jedoch den Lichtstrom in die entgegengesetzte Richtung lenken, indem er die Jalousien über dem Oberlicht bei Bedarf verdunkelt.
Ein einheitlicher linearer Block aus weißen Nutzmöbeln zieht sich vom Boden bis zur Decke durch die gesamte Wohnung. Darin integriert sind eine Küche, viel Stauraum, Platz für Waschmaschine und Trockner sowie eine separate Toilette.
Die Strenge, die das gesamte Projekt begleitet und für die Plattenbauwohnung selbstverständlich ist, spiegelt sich auch in der Einrichtungslösung wider. Alle maßgefertigten Möbel und Oberflächen, abgesehen von den Vorhängen und dem Marmoleumboden, sind weiß. Zusammen bilden sie einen neutralen Hintergrund, der eine freie Wahl von frei stehenden Möbeln, Accessoires und Zimmerpflanzen ermöglicht. Für den Esstisch und die Schreibtische in den Jungenzimmern wurde Holz verwendet, das sich angenehm anfühlt. Aber auch die Farbe Blau spielt hier eine wichtige Rolle. Frau H. mag Blau. Es ist überall und nirgends zugleich. Es ist versteckt und kommt immer dann zum Vorschein, wenn etwas geöffnet wird. Es ist in jedem Schrank, Küchenschrank, in der Toilette oder im Bad. Blau ist ein Ornament, das sich mit der Vielfalt der Ausstattung entfaltet, die die Familie in den Möbeln unterbringt. Die zweite Schicht der Ornamente ist weniger auffällig, aber dennoch zu finden. Es sind die Fugen der strukturellen Betonplatten und die behandelten "Narben" nach der Entfernung der Trennwände. Ähnlich wie die ursprünglichen, noch gut funktionierenden Heizkörper oder Heizungsrohre stellen sie die Erinnerung und den Charakter der ursprünglichen Plattenbauwohnung dar. Wir haben nicht vor, sie zu verstecken und so zu tun, als wären sie etwas Hässliches. Eine Plattenbauwohnung hat nichts, wofür sie sich schämen müsste. Sie sind Teil ihrer Natur.
Team:
Studio: RDTH architekti
Author: René Dlesk, Tamara Kolaříková
Design team: Kristián Vnučko, Kristýna Kopecká
Photographer: Filip Beránek
General contractor: David Koubek
Custom-made furniture: FAST
Material Used:
1. Ceramic tiles (bathroom, toilet) — Ceramica Vogue
2. Compact boards (worktop) — EGGER
3. LS990 switches and sockets — JUNG
4. Curtain — Gerriets
5. Déjá-vu mirror — MAGIS
6. Shelf One storage system — Master & Master
7. KA dining table — Javorina
8. Merano dining chairs — TON
9. Tolomeo Wall wall lights — Artemide
