Genius loci Bauernhaus Burkeldijk und Festung Hazegrasin Knokke (BE) "Ein Ort ist ein Raum, der einen besonderen Charakter hat", postuliert Norberg-Schulz in Genius Loci: Auf dem Weg zu einer Phänomenologie der Architektur. Die natürliche und gebaute Umgebung auf der Suche nach verborgenen visuellen Mustern zu erforschen und diese auf elegante Weise in ein zeitgenössisches Architekturprojekt zu übersetzen, ist seine Mission. Eine Empathie, die Govaert & Vanhoutte Architects nicht fremd ist. Dank etwa fünf sensiblen Kulturstätten auf seinem Lehrplan hat das in Brügge ansässige Architekturbüro bereits eine solche Affinität zur historischen Architektur und Atmosphäre von Westflandern entwickelt, dass der Ansatz für die Festung Hazegras und ihre Umgebung wie eine zweite Natur wirkt.
Ein denkmalgeschütztes Bauwerk wie die Festung Hazegras kann mehrere Werte des Kulturerbes in seiner DNA tragen. So wie die Schnüre des DNA-Moleküls als das Rückgrat betrachtet werden können, das alle genetischen Daten enthält, liest Govaert & Vanhoutte Architekten militärische, soziale, kulturelle, natürliche, infrastrukturelle und technische Informationen aus den Spuren in und um das Bauernhaus Burkeldijk. Es handelt sich um mehr als eine Summe von Relikten aus der Antike. Wo früher das Erbe besonders den Schutz von Objekten beeinflusste, liegt heute der Schwerpunkt der Denkmalpflege auf der Bewahrung des 'Gedächtnisses', das das Material des Erbes trägt. Die Erweiterung in Richtung Denkmalpflege bedeutet, den intrinsischen Wert des Erbes in unserer Umgebung aufzuwerten und Möglichkeiten zu schaffen, um neue positive Entwicklungen zu ermöglichen.
Für die Umwandlung des Bauernhauses in eine Residenz schneidet Govaert & Vanhoutte präzise nicht wertvolle Spuren weg. Wertvolle historische Bauten werden so in ein Gleichgewicht mit den kaum mehr vorhandenen Volumina gebracht. Ein Flügel des U-förmigen Grundrisses des Reduits des Leopold-Kastells ist nach Norden hin mit Büroflächen extrudiert, die das Gebäude nicht nur im Grundriss, sondern auch in den Querschnittsproportionen fortsetzen, woraus sich die respektvolle Fortsetzung in der Materialwahl ergibt. Afrormosia-Balken von 7 x 3 cm mit einem Zwischenabstand von 4 cm folgen deutlich und doch dezent dem Rhythmus der noch in den Reduitwänden sichtbaren Geschützpforten. Ebenso wird der Tenor des bisherigen Umbaus vom Reduit zum Bauernhaus beibehalten. Die sorgfältig gewählten Einschnitte der Fassadenöffnungen verstärken explizit die Narbe zwischen dem roten und dem gelben Mauerwerk. Gleichzeitig fügen die eleganten Abschnitte der Metallfensterverkleidung und die Dreifachverglasung die Ziegel- und Holzvolumen zusammen. Nicht nur die Materialien der Außenhaut, sondern auch die Rauminfiltration des neuen Voumens spiegeln die lokale Architektur der langen Bauernhäuser wider: Dem gleichen Thema folgend, steht der raue Waschbeton und der weich gerundete Putz in subtilem Kontrast zu den freigelegten, restaurierten Holzdachstühlen und den neu hinzugekommenen, aber ebenfalls hölzernen Innenvolumen. So wie sich eine Festung zum Schutz introvertiert, sind die Lese- und Arbeitsräume gleichermaßen zum Innenhof hin ausgerichtet. Die Grenze zwischen innen und außen verschwindet durch die Beibehaltung des gewaschenen Betonbodens, der an Kanonenbasen erinnert. Als Gegenpol zu einer Bastion öffnen sich die Wohnräume zu den Poldern außerhalb des ehemaligen Bollwerks.
Ein neuer, unterirdischer Durchgang verbindet das umgebaute Bauernhaus mit der vergrößerten Scheune. In dieser Erweiterung ist eine ähnliche Handschrift erkennbar. Die Querschnittsproportionen bleiben erhalten, die Materialwahl ist gleich, aber die beiden Gebäude mit Gästezimmern sind leicht verschoben und auseinandergeschoben. Eine Glasschweißnaht um einen Teil des Hallenbades und der Gästeküche näht hier die Volumen in Backstein und Holz. Wie die Fensterläden der alten Scheune bieten die Schiebefassaden der Erweiterung die Möglichkeit, die Gästeanlage komplett abzuschotten. Nicht nur die funktionale Umgestaltung von Wirtschaftsgebäude und Scheune, sondern auch die Befreiung, Restaurierung und Sanierung der Relikte vor Ort atmen eine Atmosphäre des Respekts und der ausgeprägten Militärpoesie. Insbesondere die künstliche Beleuchtung rund um die vier nahezu identischen Beton- und Ziegelbunker südöstlich der Scheune hebt die Monolithen über die Banalität hinaus.
Durch die rücksichtsvolle Auseinandersetzung mit den Gebäuden und ihrer extrem aufgeladenen Umgebung gelingt es Govaert & Vanhoutte nicht nur, den Charakter des Ortes im Bauernhaus wiederzubeleben. Die Architekten positionieren diese Restaurierung und Renovierung mit so viel Würde und Poesie in den Poldern, dass das Projekt die ursprüngliche Bedeutung von 'Genius Loci' erhält: die Gottheit des Ortes.
Dominique Pieters Geschichte der Festung Hazegras Die Festung Hazegras ist ein außergewöhnlicher Ort zwischen Knokke und Westkapelle in der Nähe der Niederlande. Die robuste Konstruktion ist nicht nur eines der seltenen Überbleibsel der österreichischen Herrschaft in Flandern, sondern liegt zudem in einer fast unberührten Kulturlandschaft. Als letztes Bauwerk in einer langen Reihe von Befestigungsanlagen wurde es zur Verteidigung der Zwingrenze und der Entwässerungsschleusen der zurückgewonnenen Polder errichtet. Die Schleuse Hazegras aus dem Jahr 1784 ist Teil eines größeren österreichischen Projektes, das zwei weitere wichtige Schleusen entlang der belgischen Küste umfasst. Bei einem Inspektionsbesuch beschließt Joseph II., die Schleuse mit einem Fort zu sichern. Innerhalb der Festung wurden ein steinernes Wachhaus und ein Gefängnis gebaut; im westlichen Teil wurde ein Schleusenhaus errichtet. Diese Bauten wurden 1839, nach den Spannungen zwischen Belgien und den Niederlanden, in Bauernhäuser umgewandelt. Noch immer wird der Umriss des Walls aus der Parzellenstruktur herausgelesen. Der Verlauf der Wehrmauer ist als leichte Erhebung sichtbar. Von dieser Festung, die östlich der bereits Ende des 18. Jahrhunderts abgebauten Festungen Isabella und Teresia von 1622 liegt, ist wenig bekannt. Die Hazegras-Festung blieb nur für eine kurze Zeit in Betrieb, jede Form von Blaupausen ist rar und schriftliche Quellen ebenso selten. Der Grund dafür ist wahrscheinlich der Verlust des Archivs des Militärkabinetts (caisse de guerre, 1718-1794) bei einem Brand in der Residenz des Oberbefehlshabers während der Brabanter Revolution 1789. Die Knappheit der Ressourcen behinderte die Forschung erheblich. Sekundäre" Quellen wie De procesbundels van het Brugse Vrije haben Hilfe geleistet, seit das Ingenieurskorps sich an Arbeitskräfte wandte, die von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wurden. Die Hauptressource sind jedoch die Ruinen vor Ort, die einige Überraschungen bereithielten: Das Reduit der Festung Leopold - die 1830 umgebaute und restaurierte Hazegras-Festung - schien als der Bauernhof Burkeldijk erhalten geblieben zu sein.
Das gesamte Gebiet, das von den Straßen Retranchement, Burkeldijk und Hazegras umschlossen wird, steht seit dem 15. Oktober 2003 unter Denkmalschutz und umfasst somit das Gelände der Festungen Isabella und Hazegras mit der neuen Hazegras-Schleuse, Bunker aus beiden Weltkriegen, Wiesen, Ackerland, Deiche, Gräben und Straßen mit Spuren von Grundstücksstrukturen, Höhenunterschieden und unterirdischen Resten historischer Befestigungen und Schleusen. Auf dem Gelände der ehemaligen Festung befinden sich drei Bauernhöfe: zwei in der Straße Retranchement (Nr. 17 und 19) und einer auf dem Burkeldijk - heute zu einem Familienhaus mit Gästezimmern umgebaut. Die beiden letzteren erhaltenen Gebäude aus der Zeit der Festung Hazegras.