Die Entstehung der Kulturmeile im 19. Jahrhundert und deren städtebauliche Zerstörung im 20. Jahrhundert
Am südlichen Rande der Basler Innenstadt entstand mit der Schleifung der inneren Stadtbefestigung und dem Abbruch der angrenzenden Areale des Barfüsser- und St. Magdalenenklosters im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entlang des neu angelegten Steinenbergs eine eigentliche Kulturmeile, die stark von den städtebaulichen und architektonischen Visionen der damaligen Zeit geprägt war.
Der Errichtung des Casinos (1826) und des Blömleintheaters (1831) nach Plänen von Melchior Berri folgten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen Barfüsserplatz und St. Alban-Graben weitere Grossbauten in neubarockem Stil von Johann Jakob Stehlin: Die Kunsthalle (1872), das Stadttheater (1875), der Musiksaal (1876), das Steinenschulhaus (1877) und schliesslich die Skulpturenhalle (1887).
Das alte Casino wich 1939 dem heutigen Bau der Architekten Kehlstadt & Brodtbeck, und 1975 entstand mit dem Abbruch des alten Stadttheaters eine Lücke als Vorplatz des neu errichteten Stadttheaters, womit die städtebauliche Einheit der ehemaligen Kulturmeile endgültig auseinanderfiel. Von den ursprünglichen Gebäuden sind nur noch die Kunst- und Skulpturenhalle sowie der Musiksaal erhalten.
Ein Neubauprojekt von 2007 scheiterte bei einer Volksabstimmung
2007 wurde in einer Volksabstimmung ein Neubauprojekt, welches den Casinosaal von 1939 ersetzen sollte, abgelehnt. Das abgelehnte Projekt von Zaha Hadid war als Siegerprojekt aus einem Architekturwettbewerb hervorgegangen und fand beim Volk aber – vor allem wegen seiner mächtigen Kubatur – keine Akzeptanz. Ein paar Jahre später – 2012 – wurden wir mit einer städtebaulichen Studie beauftragt für eine Neuordnung des knappen und qualitativ ungenügenden Raumangebots, welches dem historischen Musiksaal vom 1876 infrastrukturell zudienen soll.
Diese Anstrengungen sollten sich in einem ersten Schritt auf den eigentlichen Musiksaal konzentrieren, der heute zu den ältesten und bedeutendsten Musiksälen Europas zählt. Er ist Stammhaus des Sinfonieorchesters Basel und auch das renommierte Kammerorchester Basel und die Basel Sinfonietta veranstalten dort ihre Konzerte. Der Saal mit seinen 1400 Plätzen wird für seine hervorragende Akustik international gerühmt. Beim Bau mussten 1876 jedoch aus Kostengründen erhebliche Abstriche bei den Servicebereichen in Kauf genommen werden, was 1939 teilweise durch den Saal umschliessende Anbauten behoben werden konnte. Diese verknorzten Anbauten mit ihrer in die Jahre gekommenen Atmosphäre vermögen aber die sich in den letzten 80 Jahren stark veränderten Anforderungen an ein zeitgemässes Konzerthaus bei weitem nicht mehr zu erfüllen. Neben der dringend erforderlichen baulichen Sanierung war also insbesondere eine Erweiterung mit grosszügigen Foyers, Künstlerbereichen und Serviceräumen für das künftige Fortbestehen dieses wertvollen Musiksaales unumgänglich.
Die Erweiterung
Um dem bestehenden Musiksaal mehr Freiraum für die benötigte Raumerweiterung zu verschaffen, wurden diverse Möglichkeiten und Varianten untersucht. Dazu konzentrierten wir uns auf den Raum zwischen dem Musiksaal und der Barfüsserkirche, der im Mittelalter mit Klosteranlagen verbaut war und deshalb aus der Sicht des Denkmalpflegers für bauliche Veränderungen freigegeben wurde.
In Analogie zu diesen ehemaligen Klosteranlagen haben wir in ersten Studien kreuzgangartige Anbauten zwischen Barfüsserkirche und Musiksaal geprüft. Aus städtebaulichen, architektonischen und betrieblichen Gründen haben wir diese jedoch bald schon verworfen. Der Stehlinsche Musiksaal war als souveräner Palazzo konzipiert und sämtliche Versuche, Aufbauten anzudocken, wirkten wie eine lächerliche Bastelarbeit. Wie schon die Zubauten von 1939 wurden die kirchenseitigen Anbauten als Rückseiten wahrgenommen, minderwertig im Vergleich zur Schaufassade am Steinenberg. Die einzige Lösung, die uns überzeugte, war den Musiksaal als autonomen, vom Casinobau von 1939 frei gespielten Baukörper zu begreifen.
Ein Palazzo
Der Musiksaal als eigenständiger Baukörper musste natürlich grösser werden als der bestehende Kernbau von 1876. Er musste sozusagen aus dem Altbau herauswachsen, so als sei es schon immer so gewesen. Darum war es wichtig, den zu ergänzenden Teil, welcher die Räume für Foyers, Service und Künstleraufenthalt enthält, in der zumindest für den flüchtigen Blick gleichen neobarocken Architektursprache zu gestalten. Als Modell dazu diente uns die bestehende, durch Anbauten über die Jahre weitgehend verdeckte Stehlinsche Rückfassade, welche wir mit digitaler Technologie erfassten und in originaler Grösse nachgebaut haben.
Während es sich bei der historischen Fassade um ein massives Gemäuer handelt, ist die Fassade des Neubaus aus bautechnischen und energetischen Gründen als gedämmte Stahlbetonwand mit einer hinterlüfteten Verkleidung ausgebildet. Entsprechend entschieden wir uns, für diese Verkleidung Holz als das geeignetste Material zu verwenden. Die von der Originalfassade übernommenen Geometrien haben wir hierbei leicht verändert, um den konstruktiven Anforderungen des Werkstoffs Holz gerecht zu werden.
Bereits bei der Erstellung des Musiksaals im 19. Jahrhundert wurden gewisse Bauteile entgegen ihrer eigentlichen Erscheinung in Holz ausgeführt und dem beabsichtigen gestalterischen Ausdruck entsprechend angestrichen. Beispielsweise wurde das massiv erscheinende Dachgesims damals zur konstruktiven Vereinfachung vollständig in Holz ausgeführt und im selben Farbton wie die steinerne Fassade gestrichen. Auch die Säulen des Musiksaals wurden aus akustischen Gründen in Holz bzw. Gips erbaut und mit einer steinern anmutenden Bemalung verziert.
Die Gasse
Mit der betrieblichen Entkoppelung von Musiksaal und Stadtcasino und dem damit einhergehenden Abbruch des damaligen Eingangs- und Treppenbereichs entstand zwischen Steinenberg und Barfüsserplatz wieder eine direkte Verbindung in Form einer offenen Gasse, so wie diese als Kutschenvorfahrt bis zum Abbruch des Berri-Baus im Jahre 1938 und dem Neubau des Stadtcasinos von 1939 bestand. Der Musiksaal orientiert sich damit sowohl hin zur ehemaligen Kulturmeile des Steinenbergs als auch zum Barfüsserplatz. Der Musiksaal steht nun wirklich auch auf dem Barfüsserplatz, und er tritt neben der mächtigen Barfüsserkirche als gleichwertiger Baukörper in Erscheinung. Es entsteht so ein neuer öffentlicher Raum zwischen Kirche und Musiksaal, der bisher bloss als eine Art Hinterhof wahrgenommen wurde.
Diese volumetrische und städtebauliche Klärung lenkt unseren Blick jedoch auf weitere städtebauliche Mängel – der Casinobau von 1939, der sich mit seiner an einen Wohnbau erinnernden Rückfassade seit jeher vom Platz abgewendet hat, sowie die Gestaltung des Barfüsserplatzes aus den 80er Jahren mit samt dem Tramhäuschen, das den Platz versperrt. Dies ruft geradezu danach, nun in einem weiteren Schritt neu über den Barfüsserplatz als einer der wichtigsten öffentlichen Räume Basels nachzudenken.
Der Stehlinsche Musiksaal
Der Musiksaal, der heute zu den ältesten und bedeutendsten Musiksälen Europas zählt, hat seit seiner Erbauung im Jahre 1876 eine Vielzahl bedeutender Veränderungen erfahren. Zusammen mit dem Bau des Hans Huber-Saals durch Fritz Stehlin erfolgte 1905 eine erste Erneuerung. Neben dem Einbau der Orgel wurde die Decke mit Stuckaturen versehen, an den Wänden wurden Musikerbüsten angebracht, und die farbliche Erscheinung des Saals wurde einer Neugestaltung unterzogen. Eine zweite tiefgreifende Umgestaltung erfolgte 1939 mit dem Abbruch des alten Casinos und dem heutigen Bau der Architekten Kehlstadt & Brodtbeck. Damals wurde die Neigung des rückwertigen Balkons stark angehoben, um den Zugang zum Balkon vom neu errichteten Zwischenbau her zu gewährleisten. In den darauffolgenden Jahren wurden weitere Anpassungen vorgenommen wie das Schliessen des Oblichts und der Fenster, der Ersatz der historischen Bestuhlung, die Umgestaltung der historischen Kronleuchter, der Ersatz des ursprünglichen Parketts sowie eine völlig neue Farbgebung.
Im Rahmen des Erweiterungsprojekts wurde bei der Restaurierung des Musiksaals neben dem Erhalt der akustischen Eigenschaften als oberste Vorgabe in enger Zusammenarbeit mit der Kantonalen Denkmalpflege entschieden, den Saal möglichst originalgetreu in seinen Zustand aus der Zeit der ersten Erneuerung von 1905 zurückzuführen. So haben wir das Oblicht und die Fenster wieder geöffnet, die Bestuhlung originalgetreu nachgebaut, die Neigung des Balkons verringert, das Parkett in seiner ursprünglichen Form ersetzt und die Farbgestaltung von 1905 wiederhergestellt.
Die Foyers
Die Verbreiterung des Volumens bietet nun auf mehreren Ebenen und unmittelbar am Konzertsaal gelegen neuen Raum für Foyers und Bars, aber auch für Künstlerbereiche und Serviceräume. Auch der Hans HuberSaal, der als Kammermusiksaal erhalten bleibt, erschliesst sich direkt von diesen neuen Foyers her. Die entlang des Saals angeordneten neuen Foyers gliedern sich in zwei Ebenen, von denen aus das Parkett und der Balkon erschlossen werden. Hierbei haben wir zum Saal hin die alte Fassade des Musiksaals freigelegt und diese gespiegelt als neue Aussenwand. Die Stirnwände hingegen nehmen das im 19. Jahrhundert häufig verwendete Element des Spiegels auf und geben dem Raum zusammen mit der verspiegelten Decke mehr Grosszügigkeit. Wie eine schwebende elliptische Platte löst sich das obere Foyer in den Ecken von den Seitenwänden. Zusammen mit der zentralen Öffnung werden die beiden Ebenen des Foyers so als ein einziger Raum erfahren.
Während wir für das äussere Erscheinungsbild der Erweiterung des Stadtcasinos einen simulativen Ansatz verfolgt haben, wollten wir im Innern die stilistischen Elemente des 19. Jahrhunderts zelebrieren und die Künstlichkeit dieser Elemente in Bezug auf Formen, Materialien und Farben noch hervorheben.
Die Treppenhäuser
Aufgrund des durch die städtebauliche Situation beschränkten Spielraums für die Erweiterung des Stadtcasinos war es uns ein Anliegen, neben den eigentlichen Foyers auch weitere Räume als Aufenthaltsorte auszugestalten. So dienen die beiden grosszügigen Treppenhäuser nicht nur der Erschliessung. Mit ihren logenartigen Ausbuchten laden sie in den Pausen auch zum Verweilen ein. Bei der Maufacture Perelle in Lyon liessen wir die original Brokat Tapete reproduzieren, die das 1752 gegründete Unternehmen bereits für die ein Jahr vor dem Musiksaal eröffnete Opéra Garnier gewoben hatte.
Für das Stadtcasino haben wir eigens ein Parkett entwickelt. Während sich die linsenförmige Geometrie vom Muster der Tapete ableitet, so nimmt die Verlegung mit einer abwechselnd links- und rechtsläufigen Holzmaserung Bezug auf das historische Fischgrätparkett des Musiksaals. Inspiriert vom Lichtspiel der historischen Kristallleuchter haben wir mit moderner LED Technik für das Stadtcasino die „Parrucca“ Leuchte entworfen, die den Weg des Besuchers durch die Treppenhäuser säumt. Das Lichtspiel der Leuchten wird vervielfacht durch die mit silbernem Schlagmetall versehenen Decken, die den Raum optisch überhöhen.
Der Hans Huber-Saal und die Künstlerbereiche
Als Ergänzung zum Musiksaal errichtete Fritz Stehlin 1905 den Hans Huber-Saal für Kammermusik. Im Rahmen des Erweiterungsprojekts wurde dieser in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege weitestgehend in seinen originalen Zustand zurückgeführt. Dies galt auch für das Erscheinungsbild der damals mit dem Hans Huber-Saal gebauten Künstlerfoyers, Stimmzimmer und Solistenzimmer. Neben der Wiederherstellung der ursprünglichen Farbgebung wurden Vertäfelungen, Fenster und Türen renoviert, und wo diese aufgrund späterer Umbauten nicht mehr vorhanden waren, haben wir sie nach historischem Vorbild rekonstruiert.
Neben den bestehenden Künstlerbereichen im Anbau des Hans Huber-Saals, entstanden im Dachgeschoss des Erweiterungsbaus neue Räumlichkeiten für die Casino-Gesellschaft. Von dort aus eröffnen sich gegen aussen durch drei Dachlukarnen neue Blicke auf den Barfüsserplatz und die Barfüsserkirche, während man auf der gegenüberliegenden Seite durch den neu geschaffenen Innenhof auf das historische Dach des Musiksaals sieht.